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Die tragische Schokoladenliebe

Eine moderne, weihnachtliche Moritat

Ich kenne einen kranken Mann, der Süßes nicht mehr sehen kann. Schon bei dem Wort Konfiserie befällt ihn gleich die Hysterie. Hört er das Wörtchen Praliné, tut ihm sogleich die Hirnhaut weh. Und denkt er bloß an Schokolade, dann fühlt er sich total malade.

Was ist geschehn mit diesem Mann? Ich will erzählen, wie`s dazu kam.

Als Junge war er ganz normal, aß Schokolade ohne Qual, ersehnte schon von Neujahr an den Schokoladenweihnachtsmann. Näherte sich das Osterfest, freute er sich auf`s Osternest und wickelte noch auf dem Rasenaus dem Papier den Osterhasen. Es gab auch keine Osterfeier ohne reichlich Ostereier. In Glanzpapier so bunt und schön, da konnte man ihn wickeln sehn: die roten, grünen, gelben, blauen,ach, wie war`n die schön zu kauen!

So kamen und gingen die Kirchenjahre, dem Jungen wuchsen Bart und Haare. Auch nach dem Ende aller Klassen konnt` Schokolade er nicht lassen und suchte eine Arbeitsstelle an der Schokoladenquelle. Er begann also eine Lehre in einer Schokoladenfabrik.

Zu Anfang ging es noch sehr gut.

Das erste Mal kam man ins Grübeln, als er zwischen Blumenzwiebeln zum Osterfest mit großem Gram suchte nach dem Weihnachtsmann. Er suchte nach ihm überall, im Gras, im Beet, im Hühnerstall, hinter den Büschen, hinter Bäumen,im Haus herum in allen Räumen.

Sah er einen Osterhasen geriet er aggressiv ins Rasen, trat ihn kaputt mit seinem Fuß, statt ihn zu essen mit Genuss. Und als das Weihnachtsfest dann kam, stand`s noch viel schlimmer um den Mann. Er hüpfte um den Tannenbaum, fing an, dort ein Nest zu bau`n, malte bunte Ostereier für die weihnachtliche Feier.

Schrecklich auch, an manchen Tagen sah man ihn an Zapfen nagen oder auch an harten Möhren, ließ sich dabei gar nicht stören. Und es stöhnte seine Mama: Armer Sohn, welch` Psychodrama!

Was war mit diesem Mann gescheh`n? Arbeiten wir uns an die Erklärung heran.

Der junge Mann ist

1.ein Opfer des Kirchenjahres,

2. ein Opfer der Marktwirtschaft und

3. ein Opfer seiner Schokoladenliebe!

Wenn Sie meinen sollten, dass diese drei Faktoren an den Haaren herbeigezogen seien, dann lesen sie einfach weiter.

Kirchenjahr und Marktwirtschaft – haben Sie schon dran gedacht- teilen sich den Jahreslauf durch Konsum und Feiern auf. Fragte ich Sie, dann sagten Sie prompt, dass Ostern immer n a c h Weihnachten kommt. In der Marktwirtschaft muss man da anders denken,um Wirtschaftsströme richtig zu lenken. Frühjahrsmode wird uns serviert, wenn es uns noch lausig friert. Die Kataloge kommen  an lange vor dem Weihnachtsmann. Ohne vom Thema abzulenken, das nennt man antizyklisch denken. Und antizyklisch, ohne Gnade, ist`s auch bei der Schokolade.

Zu Weihnachten den Schokomann? Da fängt man schon nach Ostern an und produziert die ersten Tonnen, wenn wir uns noch am Strande sonnen. Igendwann dann im August fängt sie an, die Weihnachtslust!

Die einzige hier, die das schafft, das ist unsere Marktwirtschaft.

Dem nicht verkauften Weihnachtsmann sieht man es später gar nicht an, dass er ist ein Osterhase mit heiß eingeschmolz`ner Nase! Der Schokolade ist das gleich, denn sie ist verformbar weich. So mancher Hase, den wir essen, hat als Weihnachtsmann im Regal gesessen. Und mancher Weihnachtsmann zerfloss zu einem Osterhasenspross.

Der Fortschritt unserer Geschichte muss nun wieder ohne Reime gehen.

Stellen Sie sich also vor: Unser junger Mann produzierte

Weihnachtsmänner, wenn alle um ihn herum Osterhasen aßen und Ostereier suchten. Er produzierte Osterhasen, wenn alle um ihn herum Schokoladenweihnachtsmänner, schokoladenüberzogene Lebkuchen, Engel und andere weihnachtliche Schokoladenschleckereien aßen und Weihnachtslieder sangen.

Unser junger Mann hat viele Fehler.

Er kommt nicht damit zurecht, dass er antizyklisch arbeiten muss. Er kommt nicht damit zurecht, dass er immer wieder Weihnachtsmänner einschmelzen muss, um sie zu Osterhasen zu machen

und umgekehrt. Er kommt auch nicht damit zurecht, dass er durch seine Arbeit in der Fabrik in Festtagsstimmungen versetzt wird, die im Gegensatz zum Leben um ihn herum stehen.

Er ist ungeeignet für das Leben in der modernen Industriegesellschaft.

Er ist zu sensibel.

Er ist ein Mensch!

Gernot Seitz (links) und Karl-Heinz Hoffert

Vor 10 Jahren war es, als Oberstudienrat Karl-Heinz Hoffert im Sabbatjahr am Strand von Pisciotta, zwei Autostunden südlich von Neapel, Pino Veneroso begegnete und dann Pinos Frau Jutta kennenlernte, Lehrerin in Pisciotta und aus Buchholz in der Nordheide stammend. Was dann begann, konnte keiner ahnen: Freundschaft, Schüleraustausch, “Elternaustausch”, Besuche, regelmäßige Treffen, Kultur, Oper, Theater, Vorträge, Konzerte  – alles unter dem Gedanken deutsch-italienischer Freundschaft.

Warum ich hier darüber berichte? Meine Tochter war auch dabei. Wir hatten italienische Gäste im Haus. Wir haben zusammen gefeiert, geredet, gegessen, gesungen, gelacht – deutsch-italienisch mit viel Freude. Das ist inzwischen 10 Jahre her und noch immer treffen sich in Hamburg-Neugraben die Eltern und Freunde des Freundeskreises, um sich auszutauschen und miteinander zu lernen und zu feiern. Eine Art von dolce vita auf deutsch. Außerdem gibt es einen regen Reiseverkehr zwischen Hamburg und Pisciotta und die Gastfreundschaft in dieser zauberhaften kleinen italienischen Stadt ist berühmt!

Gernot Seitz gibt ein kleines Blatt heraus, die “Informazioni”, in dem immer die neuen Aktivitäten des Freundeskreises dokumentiert werden. Seine Frage danach, mich einmal dort vorzustellen, habe ich natürlich gerne bejaht. Ich danke herzlich dafür, meine Informationen bearbeitet und mit Bildern versehen zu haben! Ich wünsche unserem Freundeskreis an dieser Stelle noch viele schöne Jahre und verspreche: Eine Reise ins Cilento wird geplant und gemacht werden! Das ist sicher!

Achten Sie auf weitere Artikel über diesen Freundeskreis auf meiner Seite! Er ist ein Beweis dafür, dass Freundschaften halten können und langfristig Menschen zusammenführen können, die ein gemeinsames Band bindet.

Hier der neue “Freundschaftsbrief” des Freundeskreises PisciottAmburgo:

(Nach Klick auf das Bild öffnet sich der Brief)

“Kultur um drei Uhr” im Rahmen der “Kulturtage Süderelbe”  ( siehe die Ankündigung) brachte zum ersten Mal meine Musik, meine Texte und meine EGgart  zusammen. Hier einige Bilder der Veranstaltung.

Michaelis Kirche Hamburg Neugraben

Johanna Renate Wöhlke, Jan Kehrberger und Renate Gresens nach der Veranstaltung

Johanna R. Wöhlke

Träume sind Seifenblasen...

Mehr Bilder und Informationen auf www.eggart.eu

Finissage der Ausstellung „Wilde Striche“ in der Helmspark Galerie in Hamburg Seevetal, ehrenamtlich kuratiert von Dr. Wolf Tekook und Johanna Renate Wöhlke mit dem Schauspieler, Dramaturgen, Regisseur und Autoren Hans-Peter Kurr.  Johanna Renate Wöhlke freut sich außerdem, diese Veranstaltung als Gemeinschaftsveranstaltung als Präsidentin der Die Auswärtige Presse e.V. in Hamburg ankündigen zu können und dankt Hans-Peter Kurr als Mitglied für seinen Vortrag: „Die Freiheit in der Kunst bedeutet nicht nur künstlerische Freiheit“. Es darf diskutiert werden. Eintritt frei.

Ort: Helmspark Galerie ( angesiedelt im Möbelhaus Witt)

Helmsweg 6

21218 Seevetal

www.helmspark-galerie.de

Wann: Freitag, 29. Oktober 2010, 19 Uhr

Hans-Peter Kurr

Frank Focke ist nicht mehr

Heute erschütterte uns die Nachricht, dass Frank Focke gestorben ist.

Von der ersten Vernissage in unserer Galerie an war der exzellente Bildhauer aus Seevetal ein wichtiger Teil unseres Konzeptes. In der aktuellen Ausstellung Fels und Stahl auf Leinwand trifft und in Der Kuss waren seine außergewöhnlichen Kopfskulpturen zentrale Punkte.

Die Welt verliert einen Künstler der Extraklasse, wir trauern um einen guten Freund. Den Angehörigen gebührt unser Mitgefühl.

100423FrankKLEIN

Persönliche Anmerkung: Ich bitte zu entschuldigen, dass ich dieses Bild hier hochgeladen habe. Seit ich die schlimme Nachricht erhalten habe, kreisen alle Gedanken um Frank: Unsere Gespräche in der Galerie, die gegenseitige Sympathie….
Meine Art, mich auszudrücken, sind Bilder; dieses hier hat das Material, aus dem Frank seine einmaligen Skulpturen geschaffen hat, zum Thema.
Wolf Tekook

 

SEIT DEZEMBER 2009 IM BUCHHANDEL:

HAUTKontakt

Schatten von Träumen – Eine Anthologie

von Johanna Renate Wöhlke und Wolf Tekook

Daten zum Buch:.

♦ Verlag: Shaker Media

♦ Format: 24 x 17 cm

♦ Bindung: Softcover

♦ ISBN: 978-3-86858-500-1

♦ Preis: 29,90 Euro

Bilder und Texte dieses Buches nehmen ihre Leser mit auf eine Reise in die Welt des menschlichen Verlangens nach Kontakt, Nähe, Zärtlichkeit und Verstehen. Die Bilder erzählen Geschichten, entführen in genießendes Schauen, vielschichtiges Interpretieren und Träumen. Die Texte erfühlen diese Inhalte und setzen sie in Worte um. Denn es geht um Gefühle, die uns auf vertrauten Wegen begleiten und auf neue Wege führen können. Die Leser dieses Buches werden sich in diesem Kaleidoskop wiederfinden, in diesem Strauß von Lebensbildern und Textphantasien, sich an gelebtes Glück erinnern und die Hoffnung auf ein neues auf angenehme Weise nähren.

Lebensgefühl Verlangen – was ist das?
Die Frage ist einfach, wenn der Hunger auf Trauben gestillt werden will, wenn es nur darum geht,
sie zu essen oder nicht. Sie sind da. Einfach nur zugreifen und essen. Aber im ewigen Spiel
zwischen Begehren und Entbehren müssen, Suchen und Finden zwischen Menschen,
ist das Verlangen Himmel und Hölle, Motor und Bremse zugleich, ist der Weg
zwischen Verlangen und Erlangen gepflastert mit Erfüllungen, aber auch Hoffnungen
und Enttäuschungen. Denn es geht um Gefühle.
Wer konnte sie jemals abschalten wie das Licht einer Lampe?
Wer konnte ihr Wünschen und Sehnen jemals gleich und
sofort befriedigen, wie der Griff zu den Trauben es vermag?
Wer war noch nie auf dem Weg zu einem DU
und blieb am Ende allein?
Wollen, Wünschen und Erträumen scheinen
im so oft als unverzichtbar empfundenen
Brauchen und Vermissen
angesiedelt und erweisen
sich dann als ewiges
Suchen, Erahnen und
Vorfreude, die nie
im Spüren enden
werden.
Eine
melancholische
Geschichte
also? Sogar
Stoff für eine traurige
Geschichte, dieses Lebensgefühl
des Verlangens?
Ein wenig wohl auch das, aber bei
weitem nicht nur. Denn gestilltes Verlangen
mündet in empfundenes Glück, und diese
Augenblicke und Perioden des Lebens sammeln
wir als kostbare Geschenke, jeder von uns, immer
wieder. Das Glück überrascht uns. Es begegnet uns
unvorhersehbar und wir sammeln es in Erinnerungen an
Situationen und Personen und so werden wir Teil von Geschichten,
machen Erfahrungen mit uns selbst und anderen, sind auf fremden
und vertrauten Wegen unterwegs, erreichen und verfehlen Ziele, enttäuschen
und schenken Glück…
Der rosarote Brei schmeckt nicht mehr, wenn das Leben Zähne bekommen hat.
Das Leben macht uns Appetit auf seine Früchte, überlässt es uns, mit ihnen zu leben und
im steten Spiel zwischen Begehren und Entbehren zu balancieren.
.

HautKontakt im Internet

DOCMA Doc Baumanns Magazin für digitale Bildbearbeitung, stellt “HautKontakt” vor:

Illustrierte Gedichte

Das Buch Hautkontakt von der Lyrikerin Johanna Renate Wöhlke und und dem “Photo Couturisten” Wolf Tekook illustriert eindrucksvoll, wie wenig Fotografie nötig ist, um mit Photoshops Werkzeugkasten emotionale Abstraktionen zu gestalten. Hier haben sich zwei Künstler eine Plattform jenseits des Mainstreams geschaffen, die Lyrikliebhaber zu schätzen wissen werden.

HAUTkontakt: Schatten von Träumen – Eine Anthologie
von Johanna Renate Wöhlke und Wolf Tekook
Taschenbuch, 164 Seiten
Shaker Media, 2009
29,90 Eu

Bäume

Es sind einfach nur Bäume. Aber wann wären Bäume einfach nur Bäume gewesen? Im Spiel zwischen Natur und Phantasie waren sie schon immer elementare Träger menschlicher Kultur in all ihren Facetten. Schon immer haben sie das Leben der Menschen begleitet und ihre Phantasie beflügelt. Ihre Rolle ist groß und einzigartig – nicht nur, weil es die Früchte eines Apfelbaumes waren, deren Symbolkraft dazu auserkoren wurde, die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies zu beschreiben. Nicht nur, weil Buddha seine Erleuchtung unter einer Pappelfeige hatte, heute bekannt als „Bodhi-Baum“, „Baum der Erleuchtung“.

Bäume bedeuten Leben. Sie produzieren den Sauerstoff, den wir Menschen zum Leben brauchen und benötigen dafür unsere verbrauchte Atemluft. In der Natur scheinbar kein schlechter Tausch. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen, dieses ineinander Aufgehen, ist Teil der Menschen im Alltag, ob es ihnen bewusst ist oder nicht. Wir leben mit Bäumen und die Bäume mit uns. Bäume sind unsere Begleiter, Bäume bieten Schutz – ob unter ihrem grünen „Dach“ oder als Baustoff,  Bäume lassen Blüten wachsen, Bäume tragen Früchte, Symbole für Leben und Vergehen – über und unter der Erde. Sie sind Rohstoff und „Traumstoff“ zugleich.

Ja, es gibt Bäume von denen wir träumen, weil sie uns an erlebtes Glück erinnern. Ja, es gibt Bäume, deren Erscheinen in unseren Träumen uns ewige Rätsel aufgibt.  Immer aber nehmen sie uns mit auf die gedankliche Reise durch gelebtes Leben, holen Erinnerungen hervor im Guten und im Bösen.

Meine ersten Erinnerungen an überhaupt einen Baum habe ich aus frühester Jugend. In meiner kleinen Stadt gab es eine besondere Trauerweide. Ich liebte diesen Platz. Er war nicht weit entfernt von unserer Wohnung und umweht von einem seltsamen Zauber.

Diese alte, sehr alte, Trauerweide stand in einem kleinen Park, der wohl sehr viel früher ein hochherrschaftlicher Garten hätte gewesen sein können. So wie er angelegt war, passte er als öffentlicher Platz jedenfalls nicht in dieses kleine Städtchen. Er war wie ein großes Geschenk.

Die „Geschenkschleife“ war eine runde Bank, die den Stamm der Trauerweide ganz umschloss. Saß ich auf der Bank, dann versank ich hinter den herabhängenden gewaltigen Ästen und ihrem hängenden Grün hinter Kaskaden von Laub, die auf mich wirkten wie ein Wasserfall. Sich vorzustellen, dass es einen Wasserfall aus Laub geben könnte, alleine das war wunderbar.

Ein wunderbarer Platz also, um sich zu verstecken. Ein wunderbarer Platz auch, um zu träumen und sich in schöne harmonische Welten zu spinnen.

Gärten und Parks mit großen alten Bäumen sind solche Plätze. Sie sind Seelenplätze. Sie verletzen deine Seele nicht. Sie heilen deine Seele. Jedes Mal heilen sie sie ein Stückchen, als verrichteten sie eine Arbeit, gerne und mit Freude. Wenn ich mit Tränen unter die Zweige der Trauerweide kam, ging ich getröstet wieder fort.

Was wäre geschehen ohne diesen Baum? Was wäre geschehen ohne diesen Platz? Was wäre geschehen ohne die Möglichkeit, sich auf die Bank zu legen, die kleinen Beine lang zu machen, und zwischen den herabhängenden grünen Zweigen in den Himmel zu blinzeln? Ist es der eigentliche Sinn großer mächtiger Bäume, kleine schwache Menschen zu trösten? Wichtig war nur, dass dieser Baum da stand. Er war einfach da. Er hatte diese Kraft, mit der er sich einen ewigen Platz in meinem Leben und in meiner Erinnerung eroberte.

Es blieb das Gefühl, dass es gut ist, solche Plätze unter Bäumen zum Verstecken aufsuchen zu können. Für die Erwachsenen damals galt das als mein Kinderspiel. Diese Ansicht ist noch immer falsch. Gute Plätze zum Verstecken zu finden ist ein Lebensspiel. Jeder braucht Plätze, an denen er sich manchmal verstecken kann. Der eine mehr, der andere weniger, denn es gibt mal mehr und mal weniger zu verstecken – um sich dann mit neuer Kraft zu öffnen.

Unter dem Dach eines Baumes, durch dessen Zweige die Sonne blinzelt, ist es nicht so umbarmherzig hell, jedenfalls nicht so gleißend unbarmherzig hell, wie es bis in den letzten Winkel aufgeleuchtete Räume sein können, in denen sich selten etwas über die wahrnehmende Kühle des Verstandes und von Interessen hinaus erwärmt. Das Schatten und diffuses Licht spendende Dach eines Baumes ist gnädiger, barmherziger. Unter ihm können wir unsere Augen weit öffnen und sind nicht gezwungen, unsere Augen zu schließen, sondern können sie gefahrlos weit offenhalten. Wenn wir sie schließen, dann um zu träumen, zu denken, vor uns hin zu summen, vielleicht auch zu weinen.

Es gibt Menschen, die mit Bäumen reden wie mit Freunden. Dann werden Bäume zu Zuhörern. Wäre es möglich, in Menschen den wohlwollenden, wärmenden Zuhörer zu finden, wie man ihn zum Beispiel in einer liebenden Mutter oder Freunden vermuten kann, dann wäre die Welt nicht so voll von Lügen, Ausreden und unbenannten Schmerzen. Wir vertrauen einander nicht. Deshalb vertrauen wir einander auch nichts an.

Aber das Laub der Bäume lassen wir von Fall zu Fall unsere Sorgen aufsaugen, nicht immer in Worte gekleidet, aber in Gedanken und Gefühle. Was wäre, wenn wir uns von Anfang an kennten und wüssten, wer und wie wir sind? Hätte es Einfluss auf unser Handeln? Würde es unser Leben auch nur vor einer falschen Geste, einem falschen Wort retten oder bewahren? Die Zeit ist ein barmherziger Helfer im Gewand eines Scharfrichters. Sie kann uns alles vergeben und vergisst doch nichts. Ein Baum ist ein barmherziger Helfer im Gewand von Zweigen, Blättern und Blüten. Er mag uns alles vergeben. Er fordert nichts, was wir nicht geben können.

Die Geschichte eines Baumlebens kann schier endlos lang sein, manchmal mehrere Menschenleben lang. Viele Leben im Kommen und Gehen begleiten, das ist eine für uns unfassbare Zeit zwischen Wachsen und Vergehen, nicht zu messen in Minuten, auch wenn die Zeit mit Uhren gemessen wird. Nicht zu beziffern in Jahren, auch wenn es in den Pässen der Welt und den Unterlagen der Wissenschaftler wimmelt vor Jahresziffern. Nicht zu beschreiben mit Buchstaben, auch wenn die Namen und Daten unverwechselbar sein sollen: Ein Ich, geboren am, so beginnt es. Ein Baum, gepflanzt am… Ein Baum, gerodet am, gefällt am…Jahresringe und Jahre im ständigen Wechselbad der Natur.

Mit der Zeit, den Ziffern und den Buchstaben ist der Mensch immer konfrontiert. Sie zwingen ihn unbarmherzig und unnachgiebig, an sie zu glauben. Die einzige Chance, der Zeit, den Ziffern und den Buchstaben zu entfliehen, ist die Liebe. Liebe bedeutet, die Zeit zu vergessen, die Namen zu vergessen und den Ziffern eine andere Bedeutung zu geben, als der Mathematiker ihnen geben muss. Bäume waren schon immer geduldige und schweigsame Begleiter Liebender, ja, ersehnte Orte. Wer wollte die Küsse zählen, die sich Verliebte unter Bäumen gegeben haben? In den Armen der Liebe unter einem Baum sich so zu fühlen, als hielte die Zeit an, das mag ein Stück von dem so gerne beschriebenen „Himmel auf Erden“ sein.

Diese Gedanken sind so alt wie die Liebe alt ist und keinesfalls das Privileg weltlicher Literaten durch die Jahrhunderte. Im Alten Testament findet sich unter „Das Hohelied Salomos“ einer der zartesten und sprachlich schönsten Liebesprosatexte der Weltliteratur – und auch da geht es nicht ohne Bäume: „Komm, mein Freund, lass uns auf´s Feld hinausgehen, und auf den Dörfern bleiben, dass wir früh aufstehen zu den Weinbergen, und dass wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen; da will ich dir meine Liebe geben“, oder „ Meine Schwester, liebe Braut, du bist wie ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen und Narden. Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Gewürzen.“

Was also wäre die Weltliteratur über die Liebe ohne sie, die Bäume…

Könnten Bäume Geschichten erzählen über die Art der Liebe, die ihnen zuteil wird, es wäre eine Art Mosaik, ein aus vielen Erzählungen zusammengesetztes Geschichtenkunstwerk. Kinder wenden sich den Bäumen auf andere Weise zu als Erwachsene: Sie nehmen sie in Besitz, indem sie sie besteigen, auf ihnen klettern, mit ihnen spielen. Die Kirschen in Nachbars` und im eigenen Garten werden immer noch gerne durch kletternde Kinderbeine erobert – wo es sie noch gibt, die Kirschbäume und die selbst gebauten Baumhäuser, in eigenen Gärten.

Die erzählten Geschichten über diese Abenteuer sind Legion und füllen die Erinnerungen der erwachsen Gewordenen: Da war der Süßkirschenbaum in Omas Garten, auf die das kleine Mädchen immer mit dem Bruder kletterte, um die Kirschen aus den obersten Zweigen zu holen, während andere Spielkameraden sich einfach so lang machten und reckten, wie es nur ging. Dabei versuchten sie, sich die Zweige weit nach unten zu biegen und so an die Kirschen zu gelangen. Sie wollten gerade nicht klettern  und verschwendeten nicht einen Gedanken darauf, dass Äste dadurch abbrechen mussten, getrennt von Baum und Leben – sich austoben an Bäumen für einen kurzfristigen Genuss.

Da sind Erinnerungen an Urlaube an der Nordsee und die schief gewachsenen Bäume und Hecken, die sich über Jahrzehnte der Kraft des Windes beugen müssen, gewachsene Zeugen dafür, aus welcher Richtung der Wind weht – keine Frage nach dem Betrachten dieser schief und krumm gewehten Stämme, Äste und Zweige. Keine Fichte, keine Birke, keine Haselnusshecke, die sich der Kraft des Windes widersetzen könnte.

Aber diese Bäume sind keine Verlierer. Sie stehen. Sie sind da. Sie sind da als Zeichen eines Miteinanders, in dem sich zwar die Form verbiegen und verändern lässt, aber nie die Wurzeln, nie das typische Erscheinungsbild Baum seinen Wiedererkennungswert verliert. Die Erinnerungen und Geschichten dieser Bäume wären angefüllt mit sanften Winden an warmen Sommerabenden, rauen Stürmen im Herbst und Winter, tobenden Orkanen und kreischenden Möwen über ihren Wipfeln. Ihre Meinung von sich selbst wäre nur die beste. „Wir haben es geschafft“, würden sie uns selbstbewusst erzählen, „trotz alledem haben wir es geschafft. Wir sind Bäume geblieben! Der Wind hat uns verändert, aber er hat uns nicht gebrochen.“

Sich so dem Leben stellen können, das ist auch ein menschlicher Traum. Nicht gebrochen werden, nicht untergehen, sich nicht verlieren, nicht seinen Charakter verbiegen müssen bis zur Unkenntlichkeit, durchzuhalten – auch wenn es schwerfällt, nicht verzweifeln in Stürmen, seine Wurzeln nicht verlieren, fest verankert sein.

Das ist der Stoff der wahren Märchen. Sie sind in der Welt. Sie werden erzählt und werden erzählt werden, solange die Geschichte die Geschichten von Menschen sein wird. Sie entwickeln ihre Kraft selbst. Sie strahlen in ihrem eigenen Licht. Sie werden gespeist von der Hoffnung und dem Glauben an eine gute, gerechte und glückliche Zukunft – für Menschen und Bäume.