Category: Journalismus


erschienen im Hamburger Abendblatt am 31. März 2011

Wer zu viel Zeit hat und nicht weiß, wie er sie verbringen soll, der muss sich Gedanken darüber machen, wie er sich die Zeit vertreiben kann. Von diesen Menschen scheint es auf der Welt viele zu geben. Sie haben so viel Zeit, die bedauernswerten Leute, und nun machen sie sich Gedanken darüber, sie sinnvoll einzusetzen. Ihre Idee: Sie wollen mir helfen. Wie wunderbar!

Sie schreiben mir zum Beispiel Emails. In der letzten Zeit kamen einige davon an. Aus ihnen geht hervor, dass sich diese so sehr um ihre Mitmenschen Kümmernden Sorgen um den Zustand meiner Kreditkarten machen. Sie machen sich sogar Sorgen um Kreditkarten, die ich gar nicht habe. Das scheint mir nicht nur auf den ersten Blick der Sorge zu viel zu sein. Aber wie gesagt, wenn der Mensch viel Zeit zur Verfügung hat, dann setzt er sie nun mal für seine Mitmenschen ein, koste es, was es wolle.

Heute kam wieder so eine Email an. Diesmal möchte man mich auf ein Problem mit meiner Visa-Karte aufmerksam machen. Es muss sehr dringend sein, denn der Verfasser des Briefes hat vergessen, sein Schreiben auf Rechtschreibfehler hin zu kontrollieren. Da steht nun folgendes:

„Hallo Gast Visa Europe, Ihre Kreditkarte wurde ausgesetzt, weil wir ein Problem festgestellt, auf Ihrem Konto. Wir haben zu bestimmen, dass jemand Ihre Karte ohne Ihre Erlaubnis verwendet haben. Für Ihren Schutz haben wir Ihre Kreditkarte aufgehangen. Um diese Suspension aufzuheben, klicken Sie hier und folgen Sie den Staat zur Aktualisierung der Informationen in Ihrer Kreditkarte. Vermerk: Wenn diese nicht vollständig ist, werden wir gezwungen sein, Ihre Karte aussetzen.“

Meine arme Karte: ausgesetzt und aufgehängt! Nun mache ich mir wirklich Sorgen! Andererseits – die Briefeschreiber werden es schon richten. Sie haben viel Zeit dafür!

 

 

erschienen im Hamburger Abendblatt am 30. März 2011

Immer wieder sehe ich, wie sehr sich die fußballbegeisterten Männer der Nation damit abquälen, den Fußball für alle Beteiligten zu einem rundum vollkommenen Vergnügen zu machen. Leider gelingt es ihnen nie. Immer verliert eine Mannschaft, die nicht verlieren will. Immer muss wieder ein Trainer den Job quittieren und zu einem anderen Verein wechseln. Ich vermute, Fußballtrainer leben nur in angemieteten möblierten Wohnungen und packen die Koffer erst gar nicht aus.

Für mich als unbeteiligten Fußballfan am Rande ist das eine nicht befriedigende Situation. Ich mache mir Sorgen – nicht nur um die Trainer und Mannschaften, sondern auch um den Bluthochdruck der gestressten Fans und Vereinsvorstände –  und habe mir deshalb Gedanken gemacht. Das Ergebnis ist genial, eine wunderbare Lösung für das Problem, die alle zufrieden machen wird: Hiermit schlage ich vor, zukünftig die Trainerrotation in der Fußballbundesliga einzuführen, nicht nur als Nervenberuhigungsmittel, sondern auch als Ausgangsbasis für sicheren, wechselnden Erfolg aller Mannschaften.

Was bedeutet nun Trainerrotation genau? Möglich wäre, dass ein Fußballtrainer automatisch nach vier Wochen zu einem anderen Verein in der Bundesliga wechselt. Das schaffte nicht nur für die Trainer sichere Arbeitsplätze und sorgte für fehlenden Stress in den Vereinsvorständen. Es belebte die Fußballbundesliga auch auf völlig neue Weise. Vorzustellen wäre eine begleitende Art von Lotto als Zufallsauswahlverfahren, aus dem sich jeweils ergeben könnte, zu welchem Verein die Trainer jeweils wechseln. Das produzierte Spaß und Freude und könnte außerdem noch eine zusätzliche Geldquelle für die Vereine sein.

Also, ich finde meine Idee genial, wie ich schon sagte. Da ich nicht wirklich etwas von Fußball verstehe, darf ich auch gerne mal unkonventionelle Vorschläge machen. Wer weiß, was daraus dann werden könnte. Der Ball ist rund und runde Sachen eignen sich nun mal auch für gedankliche Rotationen besonders gut…

 

 

erschienen im Hamburger Abendblatt am 18. März 2011

Da liegt es, das Geschenk. Es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann es nicht wirklich einordnen. Hübsch ist es, das ist zweifelsfrei. Ich mag es. Aber wieso kommt es mir so bekannt vor. Die Gedanken daran schiebe ich zur Seite. Wahrscheinlich habe ich ein ähnliches Teil in irgendeinem Geschäft gesehen, es hat mir gefallen und nun erinnere ich mich daran. Das wird es sein.

Dann kommt mein Mann. Er hat ein exzellentes Gedächtnis und hat mich damit schon so manches Mal überrascht. Er schaut sich das Geschenk an und lacht. Wieso lacht er? „Ich kenne es!“, meint er und lacht noch immer. Dann gehen wir gemeinsam auf eine Erinnerungsreise, die uns einige Jahre zurück führt und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Dieses Geschenk haben wir Freunden vor Jahren gemacht, ein schönes Geschenk. Sie haben sich sehr darüber gefreut damals, aber da sie immer sehr viele Geschenke bekommen, ist es wahrscheinlich verpackt und wohl behütet in einem Schrank gelandet und hat vor sich hin gedöst. Jetzt bin ich mir sicher: Geschenke können dösen! Nun ist es zurück!

Eigentlich ist das nicht schlimm, überlege ich mir, ein wenig skurril, aber nicht schlimm. Wie viele Geschenke wohl auf diese Weise in den Kreislauf des Schenkens eingebracht werden? Sollte man erwarten, dass Freunde sich daran erinnern, von wem sie etwas geschenkt bekommen haben? Peinlichkeitsgefühle könnten aufkommen. Nicht bei mir. Ich treibe die skurrile Erklärungsweise weiter: Wenn ein Geschenk von mir so wenig den Geschmack des Beschenkten getroffen hat oder den Bestand an für ihn unnützen Dingen noch mehr erhöht hat, dann darf es gerne zu mir zurück kommen, sozusagen auf Heimaturlaub gehen und bleiben.

Wir werden natürlich nicht darüber reden. Das tut man nicht. Ich habe mich auch brav bedankt und zugestimmt als ich gefragt wurde, ob das Geschenk denn gefallen habe. Es hat. Ich hatte es ja vor Jahren selbst ausgesucht…

erschienen im Hamburger Abendblatt am 16. März 2011

Ich bin eine von Jugend auf erprobte Schnarchertragerin! Mein Vater pflegte in jeder Nacht ganze Wälder abzusägen. Ich hörte es durch die Schlafzimmerdecke bis in mein Kinderzimmer darüber. Neben ihm lag meine Mutter. Immer habe ich mich gefragt: Wie hält sie das nur aus? Sie hielt es aus und schlief. Keiner verstand wieso.

Die schönste Geschichte diesbezüglich grassierte in der Familie bezüglich einer Reise in den frühen fünfziger Jahren. Meine Eltern waren mit Freunden mit dem Zelt unterwegs. Man zeltete am Bodensee. Am ersten Morgen gab es unliebsame Blicke der Zeltplatzbewohner, danach unmissverständlich die Aufforderung, doch etwas gegen das Schnarchen zu unternehmen. Man sei im Urlaub und habe nicht die Absicht, auf dem Gelände eines Sägewerkes zu übernachten. So ist das mit dem Schnarchen.

Als ich neulich mit meinem kleinen Köfferchen im Zimmer des Krankenhauses erschien, wo ich für eine Nacht einquartiert war, empfing mich die Dame aus dem Nebenbett mit den Worten: „ Ich muss sie warnen, ich schnarche!“ Gut, dachte ich mir, sie schnarcht. Warten wir mal ab.

Sie schnarchte. Sie schnarchte auf eine sehr charmante und vielseitige Weise. Es war gar nicht mal sehr laut, aber es war nicht zu überhören. Alle Varianten zwischen leisem Säuseln beim Einziehen der Luft, kleineren holperigen Schnaufern, länger gezogenem Pfeifen bis hin zu diesem unverwechselbaren Geräusch, das wir alle schnarchen nennen. Ich würde sagen: Sie war eine wirklich variantenreiche Vertreterin der Schnarchzunft.

 

Es war gerade Karneval und ich hätte ihr gerne einen Orden verliehen. Leider hatte ich keinen dabei. Aber wer kann auch schon ahnen, dass einem im Krankenhaus nächtlich so ausgereifte Schnarchkonzerte geboten werden, dass diese nach einem Orden verlangen…

 

erschienen im Hamburger Abendblatt am 1. März 2011

Die Frage nach dem Frühlingsanfang lässt sich ganz leicht beantworten: Astronomisch liegt er im Jahr 2011 am 21. März um 0.21 MEZ. Das ist noch lange hin. Das hält uns aber auch nicht davon ab, uns Gedanken darüber zu machen, dass man den Frühlingsanfang auch ganz anders definieren könnte, ich sage könnte!

Meteorologisch liegt der Frühlingsanfang auf der nördlichen Halbkugel nämlich am 1. März, denn die Weltorganisation für Meteorologie der UN hat das so festgelegt. Danach werden jeweils drei Monate einer Jahreszeit zugeordnet und die Monate März, April und Mai sind Frühling! Mit dieser Einteilung, so sagen die Meteorologen, haben sie es einfacher, Statistiken zu erstellen und Klimavergleiche anzustellen. Sollen sie.

Dann gibt es noch den phänologischen Frühling. Der ist in seiner Erscheinungsform abhängig davon, welche Pflanzen und Blüten uns schon erfreuen: im Vorfrühling die Schneeglöckchen, im Erstfrühling die Birnbäume und im Vollfrühling Apfelbäume und Flieder zum Beispiel.

„Das hört sich alles sehr interessant an“, sagte mir ein Freund, als ich ihm diese frühlingshaften Gedanken mitteilte, lehnte sich zurück und lächelte geheimnisvoll. Er habe, so meinte er, noch eine viel interessantere Variante anzubieten. Das hörte sich spannend an, denn welche sollte es noch geben außer diesen schon ziemlich breit gefächerten Varianten.

Es sei für ihn ganz klar und eindeutig so, dass es auch den gastronomischen Frühlingsanfang gäbe, meinte mein Gesprächspartner. Frühling sei nämlich erst dann, wenn er – auch im warmen Mantel könne es sein  -  seinen Kaffee  auf der Terrasse eines Restaurants trinken könne. Einfach da sitzen. Einfach nur genießen, den Kopf und die Gedanken in die warme Sonne und die klar Luft halten.

Ich mochte nicht widersprechen. Diese Art von Frühlingsanfang scheint mir wirklich noch in der wissenschaftlichen Wahrnehmung zu fehlen!

erschienen im Hamburger Abendblatt am 26. Februar 2011

Blutspenden sind wichtig. Wer sie jemals gebraucht hat, weiß das. Wer sie jemals bekommen könnte, sollte das wissen. Der wichtigste Saft der Welt ist nicht aus der Retorte zu haben. Nichts mit künstlich. Nichts mit Chemie. Nichts mit mal eben so um die Ecke besorgen, leicht und locker zur freien Verfügung wann immer wir wollen. Ohne den Menschen und seinen Körper geht das nicht. Hier braucht der Mensch den Menschen, so nah und so unmittelbar wie wohl kaum sonst im Leben.

Soweit zum Ernst der Lage. Aber es gibt auch fröhliche Momente in diesem Zusammenhang, fröhliche Gedanken und fröhlich stimmende Geschichten. Die Patientin, die mir gegenübersitzt, braucht fremdes Blut, dringend. Sie wird es bekommen. Vier Beutel sollen es sein. Da gehen die Gedanken auch andere als nur medizinische Wege.

Von wem mögen diese Spenden sein? Wir fragen uns das und kommen auf den Gedanken, wie es denn wäre, ein Brasilianer wäre dabei, ein Schwede vielleicht, ein Franzose oder gar auch ein Italiener. Mischen sich mit dem Blut auch die Temperamente? Könnten sie abfärben, könnten sie übergehen in den zu versorgenden Körper – und was dann? Es handelt sich bei dieser Patientin um ein norddeutsches Gardemaß!

Lachen und Fröhlichkeit sind angesagt an diesem Punkt der Überlegungen. Am Ende steht dann die alle bewegende Frage: Wäre das Blut von einem Italiener, müsste man dann vielleicht das Temperament eines lebenslustigen Berlusconi in Kauf nehmen? Rätseln Sie weiter. An diesem Punkt der Diskussion  beginnt die Gedankenfreiheit…

erschienen im Hamburger Abendblatt am 21. Februar 2011

Es ist kochen angesagt. Wer es noch nicht wissen sollte: Kochen ist Präzisionsarbeit, kochen ist Kunst, kochen verlangt Konzentration, Organisation – all diese wirklich wichtigen Fähigkeiten eben, die zu besitzen im Leben nie schaden kann. Keiner zweifelt das an in dieser Welt, denn das Fernsehen ist voller Kochsendungen, und da kann man das immer genau beobachten, nicht wahr?

In diesem Fall ist keine Fernsehkamera dabei, denn in dieser Küche kocht ein ganz gewöhnlicher Mensch, für den sich kein Fernsehsender je interessieren würde. Aber dieser Mensch ist wichtig, sehr wichtig sogar. Von seinem Können hängt es nämlich ab, ob täglich eine ganze Familie am Mittagstisch nicht nur satt wird, sondern auch mit Genuss die Mahlzeiten verspeist.

Dieser Koch hat dafür so seine Tricks, erzählte er mir neulich. Die Geschichte mit der Musik ist spannend und darf auch weitererzählt werden. Er kocht nämlich gern mit Musik in der Küche. Er hat da so seine speziellen CDs, die er gerne hört. Heute ist es wunderbare Barmusik, am Piano gespielt, einen Titel nach dem anderen hören wir, während auf dem Herd ein köstliches Mahl entsteht. Warum nun aber die Musik?

Unser Koch erklärt: „Das ist so, Musik ist in diesem Fall besser als jede Uhr“ -  er legt das Rumpsteak in die Pfanne und das heiße Fett erzeugt wunderbar brutzelnde Geräusche – „denn jetzt hat dieser Titel gerade angefangen zu spielen und ich kann an der abgespielten Zeit sehen, dass bald eine Minute vergangen sein wird und ich muss das Steak wenden. So einfach ist das!“

Ich habe verstanden. Kochen mit Musik, das hat was. Ich überlege: Demnach gibt es die perfekten „Steakbrattitel“ und wenn eine Gulaschsuppe gekocht werden soll, müsste es schon eine Beethoven-Symphonie sein, die da zeitmäßig die Kochdauer vorgäbe. Wir alle merken: Kochen mit Musik – das scheint wirklich ein musikalisch interessanter Ansatz zu sein, der bislang – auch im Fernsehen und in Kochbüchern – noch nicht die gebührend gewürdigt worden ist!

erschienen im Hamburger Abendblatt am 18. Februar 2011

Die wohl unwichtigste Frage in unserem Kulturkreis ist sicherlich für die meisten Menschen: „Wie nehme ich möglichst schnell an Gewicht zu?“ Es ist ganz klar, dass 99,9 Prozent der Bevölkerung diese Frage mit einem ungläubigen Kopfschütteln begleiten. Da interessiert sich jemand dafür, wie er schnell zunehmen könnte? Keiner hier will zunehmen. Alle wollen abnehmen.  Ich kenne Leute, die stellen sich jeden Morgen erwartungsvoll auf die Waage und gehen erfreut in den Tag, wenn sie nur 100 Gramm weniger wiegen als am Tag davor. Welch eine unwichtige Frage also, diese Frage?

Wie komme ich überhaupt darauf? Am Tisch gegenüber sitzt eine sehr schlanke junge Frau und berichtet lachend davon, dass sie ganz genau wisse, wovon sie sehr schnell ganz viel zunehmen könne: Wenn sie noch einmal jung wäre und wieder diesen Job als Verkäuferin in einer Eisdiele hätte. Damals, so erinnert sie sich, hat sie mehrere Kilogramm in kurzer Zeit zugenommen – so gut schmeckte das Eis. Heute machte sie das natürlich niemals mehr. Heute achtet sie auf ihre Figur, das sei selbstverständlich.

Am nächsten Tag treffe ich auf eine andere sehr schlanke, fast magere Frau. Sie ist nicht schlank, weil sie das schön findet und es ihr wichtig ist. Sie ist sehr schlank, weil sie krank ist und nun die Grenze fast überschritten ist, hinter der die Sorgen mit dem Gewicht beginnen werden – die Sorgen mit zu geringem Gewicht und die Sorgen um die Gesundheit wegen des zu geringen Gewichtes. Sie gehört zu den oben behaupteten 0,1 Prozent der Bevölkerung, denen die positive Beantwortung der Frage lebenserhaltend wäre: „Wie nehme ich möglichst schnell an Gewicht zu?“

Wichtige Fragen, unwichtige Fragen – das Leben hat es an sich, manchmal rigoros für uns zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht.

erschienen im Hamburger Abendblatt am 14. Februar 201

Was ist eine Lücke? Diese Frage kann vielfältig beantwortet werden. Zuerst einmal erinnere ich mich daran, dass der junge Prüfling nach der heiß ersehnten und ebenso erzitterten Prüfungsfahrt für seinen Führerschein, die er bestanden hatte, zu berichten wusste: „ Und dann auch noch auf der viel befahrenen Straße rückwärts in die Parklücke!“ Er hat sie bewältigt, diese Lücke.

Mir wurde an diesem Beispiel wieder einmal klar: Die Welt ist voller Lücken! Beim ersten Nachdenken verbinden sich negative Eindrücke mit der Lücke. Eine Lücke bedeutet Unvollständigkeit. Da ist zum Beispiel der Lückenbüßer. Das Wort allein schon lässt Negatives erkennen: Hier handelt es sich um jemanden, der eigentlich nicht eingeplant war, vergessen vielleicht, und dann doch noch „hervorgeholt“ worden ist. Dieser Jemand will keiner von uns sein.

Ich erinnere mich auch an die Frage einer Freundin an den Kellner in einem Restaurant: „Hätten Sie vielleicht einen Zahnstocher?“ Was sie damit wohl machen will? Gerade das oben Beschriebene wohl – einen ungebetenen Lückenfüller in einer vorhandenen Lücke entfernen. So ist das Leben, sagte neulich mein Zahnarzt. Mit den Jahren werden wir halt immer lückenhafter.

Lückenhafter? Da muss ich doch ganz schnell mal das Positive aus der Gedankenschublade ziehen und mir vor Augen halten, wie schön es doch sein kann, eine Lücke zu finden, wenn man eine Lücke sucht -  einen guten Sitzplatz im voll besetzten Bus zu erwischen, auch wenn er schmal ist, eine Parklücke für das Auto zu erwischen, eben gerade noch den Platz zu ergattern, den man sich gewünscht hat zum Beispiel. Außerdem, was wäre Wilhelm Tell ohne die Lücke von Weltrang: Durch diese hohle Gasse muss er kommen…Wenn Schiller einer Lücke so ein Denkmal gesetzt hat, können wir uns doch nicht weiter über sie beschweren!

erschienen im Hamburger Abendblatt am 10. Februar 2011

Der hier ins Spiel gebrachte Begriff bedeutet eigentlich: tiefer Ausschnitt an Damenkleidern, der Schulter, Brust oder Rücken frei lässt. Gemeint ist also das Dekolleté. Ein schönes Dekolleté ist in der Geschichte der Damengarderobe nicht wegzudenken. Offensichtlich zeigen Frauen immer wieder gerne, was ihnen Mutter Natur an ausgepolsterten, runden Körperteilen mitgegeben hat. Es zwingt sie niemand, ihre nackte Haut zu entblößen, sie machen es freiwillig und vermuten wohl, der Welt und Umwelt damit einen schönen Anblick zu bieten. Wir gehen jetzt einmal davon aus, dass es sich wirklich um einen schönen Anblick handelt.

Das Dekolleté, von dem nun aber die Rede sein soll, hat ganz andere Qualitäten! Ich will nicht behaupten, dass sie schlechter sind. Sie haben allerdings einen ganz anderen Aufmerksamkeitswert, denn dieses Dekolleté wird von einem Körperteil gebildet, von dem wir nicht unbedingt meinen, man müsse es wie ein prächtiges Damendekolleté öffentlich bewundern. Die Rede ist vom Bauarbeiterdekolleté!

Sie wissen nicht, was das ist und haben noch nie eines gesehen? Sie vermuten ganz richtig, dass es sich auch nicht um den entblößten Oberkörper von Bauarbeitern handelt, die in der Sommersonne bräunen. Sie gehen fragend in sich und erwarten von mir nun die aufklärende Antwort? Hier ist sie.

Stellen Sie sich also vor, so ein Bauarbeiter bauarbeitet gerade. Dabei bückt er sich, die Kleidung verrutscht ein wenig und lässt Haut zum Vorschein kommen – soweit übrigens ist die Parallele zum Damendekolleté noch perfekt. Aber: Wir beobachten den Bauarbeiter von hinten!

Da können wir nun sehr gut beobachten, dass die Hose beim Arbeiten ein ganz klein wenig nach unten rutscht und die Ansätze der beiden Pobacken  freigibt. Sie haben das schon gesehen. Ich bin mir sicher. Diese rudimentär freigelegten Ansätze des männlichen Pos, das nennt man Bauarbeiterdekolleté. Im Grunde ist es nichts anderes als Gleichberechtigung…nur von hinten!