erschienen im Hamburger Abendblatt am 31. August 2011
Es ist Mode, immer wieder darüber zu reden, wie schlecht doch die Welt und die Menschheit seien. Ich will nicht unmodern sein und mich dem Trend entziehen, denn Kritik ist wichtig. Sie ist es schon seit mehreren tausend Jahren. Wer erinnert sich nicht an den Spruch von Sokrates und seine Kritik an der Jugend!
Es sei zitiert: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Mehr? Aber gerne: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ Noch mehr? Ebenso gerne, diesmal von Aristoteles: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“
Ja, das ist starker Tabak, könnte man sagen und gleichzeitig schmunzeln. Die Menschen waren und sind anscheinend immer schlecht und kümmern sich nicht um ihre Mitmenschen. Halt! Eine Ausnahme scheint es doch irgendwo zu geben: Das sind all die Ehrenamtlichen, die sich Tag für Tag für diese Gesellschaft abmühen, mit Freude abmühen, und von denen immer nur in Feierstunden geredet wird.
Hat man Kontakt zu solchen Menschen, dann bekommt man einen Eindruck davon, was ein voller Terminkalender ist – zum Beispiel bei all den Ehrenamtlichen in meiner Kirchengemeinde. Montagabend? Nein, da kann ich nicht wegen der Sitzung des Kirchenvorstandes! Dienstag? Nein, da üben wir für das nächste Konzert mit dem Chor. Mittwoch, geht nicht wegen Besuchsdienst Besprechung, die Alten und Kranken werden besucht. Donnerstag, mal schauen – da trifft sich der Seniorenbeirat. Freitag, geht gar nicht, am Sonnabend öffnet unsere Kleiderkammer und wir müssen vorarbeiten. Sonnabend? Den ganzen Tag auf einem Ausflug mit den Senioren. Sonntag? Na hör mal – Gottesdienst und anschließend muss Kirchenkaffee gekocht werden im Gemeindehaus…
Kritisieren wir und meckern wir. Die Ehrenamtlichen haben offensichtlich keine Zeit dazu.