Ein kleiner Bericht über die Festveranstaltung in der Universität Hamburg
Es war eine Sternstunde der Erinnerung an Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker, Philosoph und Friedensforscher. Zu Ehren seines 100. Geburtstages versammelte sich in der Hamburger Universität eine Festgemeinde, um sein Andenken zu ehren und sich seiner zu erinnern. Eingeladen hatten gleich mehrere: die „Udo Keller Stiftung Forum Humanum“ mit Sitz in Neversdorf, zwischen Hamburg und Bad Segeberg gelegen, die den Nachlass von Carl Friedrich von Weizsäcker beherbergt; die Universität Hamburg, seine langjährige Lehr- und Wirkungsstätte; das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik aus Hamburg, dessen erster Direktor Weizsäcker hätte vor vierzig Jahren werden sollen sowie das „Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung“, ZNF, aus Hamburg – alle auf jeweils besonders Weise mit dem Namen und Wirken von Weizsäckers verknüpft und verbunden.
Dieter Lenzen, Präsident der Hamburger Universität, eröffnete die Veranstaltung mit einem Grußwort, in dem er darauf hinwies, dass Weizsäcker mit seiner programmatischen Verbindung von Wissenschaft, Religion und Politik heute als Visionär und Wegbereiter des interdisziplinären und interkulturellen Dialogs gilt. Die Universität Hamburg war die letzte universitäre Wirkungsstätte Weizsäckers und ist gerade in diesem Zusammenhang seinem Erbe verpflichtet und den Fragen nach der Aktualität seines Denkens heute. „An welche Aspekte der Arbeit Carl Friedrich von Weizsäckers ließe sich für die Lösung unserer drängenden Gegenwarts- und Zukunftsfragen anknüpfen?“, fragte Lenzen.
Als Festredner hatten die Veranstalter Julian Nida-Rümelin gewonnen. Er lehrt als Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians Universität München und ist einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden als Kulturstaatsminister bis 2002 im ersten Kabinett Gerhard Schröder.
Nida-Rümelin und Carl Friedrich von Weizsäcker – beide verbindet, sowohl ein Physik- als auch ein Philosophiestudium absolviert zu haben, also in beiden Wissenschaften zuhause zu sein. Das Leitmotiv Carl Friedrich von Weizsäckers: Wissenschaft trage die Verantwortung für ihre eigenen Ergebnisse, auch wenn deren Folgen nicht gewollt oder absehbar sind, machte sich Nida-Rümelin allerdings nicht zum Gegenstand seines Vortrages.
Er sprach zwar zum Thema: „Zum Ethos wissenschaftlicher Verantwortung“, machte sich aber auf seine Weise auf den Weg, das Gestern und Heute zu verknüpfen. In seinem frei gehaltenen Vortrag gab er einen Abriss zur Wissenschafts- und Philosophiegeschichte in ihrer komplexen Entwicklung zwischen Ausbildungsfunktion, Bildungsfunktion, Lehre und Forschung durch die Jahrhunderte, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Spezialgebiete Ethik, Entscheidungs- und Rationalitätstheorie sowie Demokratietheorie in der heutigen Zeit.
Im Rahmen seiner Demokratietheorie geht Nida-Rümelin davon aus, dass die Demokratie nicht ohne einen normativen Grundkonsens auskommt, der im Hinblick auf eine globale Zivilgesellschaft aber hinreichend neutral sein müsse, um mit einer Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen und kultureller Prägungen vereinbar zu sein. Der besteht unter anderem darin, auf die individuelle Optimierung der eigenen Interessen zu verzichten und eine gemeinsame Strategie festzulegen, Kooperation zu fördern. Ist dies in der herrschenden Strukturierung der Universitäten als Bildungsziel angelegt?
Nida-Rümelin äußerte sich besorgt darüber, dass der universitäre Betrieb immer mehr verschule und die Studierenden quasi nahtlos aus dem festen Stundenplan der Schule in den festen Stundenplan der Universität führe, unselbständige Erwachsene produziere. Das habe mit studieren nichts mehr zu tun. Wer nur noch damit beschäftigt sei, seine „Credit Points“, Leistungspunkte, zu optimieren und nicht mehr dazu komme, ein Buch zu lesen, sei mit einer Universität konfrontiert, die angepasste Persönlichkeiten fördere und nicht das selbstständige Denken.
Ein Plus für die Demokratie des ständigen gegenseitigen Dialoges? Wohl eher nicht. Die Zuhörer wurden mit solchen und anderen Fragen nachdenklich nach Hause geschickt. Nida-Rümelins Frage: „Hätte ein Einstein heute an einer unserer Universitäten die Chance, eine Professur zu bekommen?“, erntete im Publikum vielfaches Lachen und deutlich vernehmbar: nein!
Vordenker scheinen erforderlich zu sein. Möglichkeiten, das Denken zu lernen und zu pflegen sind dafür unabdingbar. Interpretiert man Nida-Rümelin richtig, dann klagt er den Ort der Universität als Ort genau dafür ein. Hier schlösse sich dann sicherlich der Kreis zu Carl Friedrich von Weizsäcker, dem allenthalben für sein Wirken in Deutschlang bescheinigt wird, ein Vordenker für so etwas wie eine demokratische „Weltinnenpolitik“ gewesen zu sein.
Udo Keller Stiftung: http://www.forum-humanum.org/index.php?sub=cfvw&seite=bibliothekcfvw
Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung: http://www.znf.uni-hamburg.de/index.html
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik: www.ifsh.de/
Universität Hamburg: www.uni-hamburg.de
Maximilians Universität München, Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft: http://www.philosophie.lmu.de/