Bill Ramsey ist ein „Cincinnati Kid“ aus Ohio in den Vereinigten Staaten. Nein, er ist nicht einer wie „Cincinnati Kid“, der pokert und leidenschaftlich spielt, so wie ihn Steve McQueen in dem 1965 von Norman Jewison gedrehten Film „Cincinnati Kid“ so hautnah gespielt hat, im deutschsprachigen Raum bekannt als „Cincinnati Kid und der Pokerkönig“.
Bill Ramsey ist das Gegenteil. Bill Ramsey spielt nicht gern. Auch als Kind hat er nicht gerne gespielt. Das sagt er gleich zu Anfang. Aber er sagt es mit seiner sanften und tiefen Stimme, die nicht darauf hin deutet, dass diese Erinnerung mit Bedauern verknüpft sein könnte. Diese Stimme macht im Gegenteil neugierig darauf - dass es vielleicht doch anders gewesen sein könnte?
Wir trinken einen Becher heißen Kaffee vor der Kulisse des weiß eingeschneiten Hamburger Hafens, der hinter den gardinenlosen Fenstern zwischen den kahlen Zweigen der Bäume im Park vor dem Haus seine Schönheit entfaltet. Warum auch Gardinen – hier bedeutet der freie Blick auf Elbe, Schiffe und Hafen den Blick in die weite Welt. Auch in den Räumen von Bill und Petra Ramsey entfaltet sich die Welt – auf einem riesigen Globus, der im Wohnzimmer steht und an Wänden, von denen jeder Quadratzentimeter mit Kunst und Bildern aus der ganzen Welt geschmückt ist.
„Ich spiele nicht gern“, hat er gesagt und dann erwachen doch die Erinnerungen, Erinnerungen an ein chinesisches Spiel mit Namen Majong, das Zuhause in Cincinnati von der Familie gespielt wurde – Mutter, Vater und zwei Schwestern. Wahrscheinlich sei es eine Mode im Amerika der 20er Jahre gewesen, meint er. Man habe auch Dame und Halma gespielt.
Sonst nichts? War auch die Natur nicht sein „Ding?“ Doch, in der Natur zu sein und dort zu spielen, das sei seine Sache gewesen. „Ich liebe die Natur, auch wenn ich nicht auf die Idee käme, im Wald zu schlafen“, fügt er schmunzelnd hinzu. Nur einmal nach dem Krieg in Deutschland hat er während der Militärzeit in einem Zelt übernachtet. „Alle haben sich erkältet. Es was das reinste Chaos, besonders für uns Kreative“, erinnert er sich lachend. Ein Kamerad von der Harvard University kam mit falschen Hosen und vertauschten Schuhen zum Dienst, worauf ein alter Sergeant meinte: „Das ist ein Kommunist!“ Ramsey kommt es aus der Seele: „Ich habe das Militär gehasst. Mir war die Musik wichtig!“
Damals in Cincinnati war es anders, als Indianer oder Cowboy deren Leben auch im Zelt nachzuspielen. Er spielte zwar auch den Cowboy, lieber aber Indianer. Sie seien die Naturmenschen gewesen und außerdem könne er nichts anders, als an sie als unterdrückte Menschen zu denken und ihnen deshalb seine Sympathie zu schenken. Wie auch die Schwarzen es waren, mit deren Musik er aufwuchs und deren Art zu singen ihm ins Blut gegangen ist. „Du kannst den Blues nicht singen, wenn du ihn nicht lebst, es gehört zusammen, das ist es“, sagt er und schaut über den Fluss. Er sei zu jeder Jahres- und Tageszeit faszinierend, auch besonders in der Nacht, wenn alles dunkel sei und nur die Lichter flimmern. Ihn Auge in Auge anzuschauen, das ist schön für ihn.
Auch auf der Bühne dreht er seinem Publikum nicht den Rücken zu, sucht dieses Auge-in-Auge-Gefühl mit seinen Zuhörern. Bei diesem „Spiel“, das für ihn kein Spiel ist, sondern Kommunikation, will er seine Zuhörer mit einbeziehen. „Kunst ist doch immer Kommunikation, das ist wichtig. Ich habe Miles Davis nie verstanden, warum er mit dem Rücken zum Publikum gespielt hat…“, fügt er nachdenklich hinzu.
Zu dieser offenen Kommunikation war er nicht immer fähig. „Als Junge hatte ich Angst vor solchen Dingen, vielleicht habe ich all diese Spiele deshalb nicht gerne gespielt, ich war nicht selbstsicher genug. Das hat sich alles viel später entwickelt…“, gehen seine Gedanken zurück und finden sich schnell in der Gegenwart wieder. Heute spiele er mit seiner Frau Petra hin und wieder Kanaster oder Podrida, ein Kartenglücksspiel aus Spanien. Gewinnen sei ihm egal, er ärgere sich nur manchmal, wenn er sich etwas Tolles ausgedacht habe und es dann schiefgehe. Aber auch das sei kein wirklicher Ärger für ihn – gar im Spiel zu kämpfen, das gehe ihm völlig ab.
Manchmal vermisst er es, als nicht in Deutschland geborener Deutscher die Feinheiten der deutschen Sprache nicht so zu beherrschen, wie man sie nur als Muttersprachler beherrscht, nicht so leicht und spielerisch mit ihr umgehen zu können. „Auf diesem Gebiet sind meine Erinnerungen halt amerikanisch.“ Deshalb geht er auch nicht in Spielshows im Fernsehen oder in die modern gewordenen Quizsendungen. „ Ich würde schon bei den ersten leichten Fragen scheitern, wenn sie sich zum Beispiel auf Redewendungen beziehen.“
Es scheint, aus dem „Cincinnati Kid“ der Jugend- und Jungenzeit ist inzwischen ein „Hamburger Jung“ geworden und gerne ein deutscher Staatsbürger. Hier hat er seine Erfolge gefeiert. Hier hat er den Schlager und den Jazz gelebt und sein Publikum gefunden, ist gemeinsam mit deutschen Swinglegenden wie Max Greger und Hugo Strasser und der SWR Big Band vor ausverkauften Häusern im deutschsprachigen Raum unterwegs gewesen.
Er fasziniert. Er begeistert. Er reißt mit, ist auf der Bühne frei und authentisch bis unter die letzte kurze Locke seines weißen Haares – und auch wenn dieser große Jazzer von sich sagt, nicht gerne zu spielen, dann ist eines sicher: Das Leben hat ihm in seiner Musik ein „Spielzeug“ gegeben, eine variantenreiche Begabung geschenkt, die er mit Ernst und Können zur Meisterschaft getrieben hat und für die er nach vielen Jahrzehnten von Jung und Alt geliebt wird!
Dieses Interview wurde im Januar 2009 geführt.
Fotos: Johanna Renate Wöhlke (2), Petra Ramsey (1), Konzertfoto Wolf Tekook
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