Kunstfotografie zwischen Schönheit und Verletzlichkeit
Der Krefelder Arzt und Fotograf Dr. Wolf Tekook
In seinen Bildern verwebt und verschachtelt er, lässt ineinander fließen und verbindet Gegensätzliches, spielt mit Licht, projeziert und dokumentiert. Da zeigen sich die Facetten des gelebten Lebens, denn der Krefelder Dr. Wolf Tekook (58) ist Arzt und Künstler, Mediziner und Fotograf. Die Galerie auf seiner Website zeigt die ganze Bandbreite seiner Arbeit und seines Könnens: Da ist zum Beispiel das Projekt Lichtspiele mit Lichtprojektionen; dann Carmina burana, Interpretationen der Lieder – und Gedichtesammlung aus dem 13. Jahrhundert; Zwischenmenschliches, das sind Menschen, fotografiert alleine oder zu zweit und ganz vorne das neue erfolgreiche Projekt „Philemon und Baucis. Baum-Menschen“, auf 148 Seiten nackte menschliche Körper in Fotografien von realen Bäumen versteckt, mit ihnen verwoben, verknüpft, in ihnen zerflossen, die menschliche Haut eingepasst und überlagert durch die Rindenstruktur der Bäume; Bäume und Menschen optisch interpretiert und in Szene gesetzt, als seien sie ein Wesen, fantastisch und real zugleich. Das gleichnamige Buch ist in diesem Frühjahr bei Shaker-Media als Kunstband erschienen.
Wolf Tekook antwortete auf Fragen zu diesem Projekt und zu seinem künstlerischen Werk.
Wie lange haben Sie insgesamt an dem Projekt gearbeitet? Es sieht nach einem Mammut-Projekt aus.
Die Grundidee und erste Vorarbeiten entstanden 2006 und 2007. Es hat vieler Versuche mit Testbildern gebraucht, bis ich die richtige Technik für eine solche Darstellung fand.
Wo sind die Bilder der Bäume entstanden?
Im gesamten Jahr 2008 habe ich gezielt nach markanten Bäumen gesucht. Einfach aufgrund der leichten Erreichbarkeit stammen viele Bäume vom Niederrhein. Ich erinnere mich noch an den ersten Ausflug im Januar 2008. Meine Idee war, schöne Solitärbäume im hierzulande reichlich vorhandenen bäuerlichen Umfeld aufzunehmen. Ich fuhr mit dem Auto zwei Stunden durch den nördlichen Niederrhein – und fand nur einen geeigneten Baum. Danach habe ich mir schnell angewöhnt, meine Kamera bei jeder Autoreise mitzunehmen – und wenn irgend möglich, keine Autobahnen zu benutzen.
Im späten Frühjahr habe ich anlässlich einer Romreise die Autostrada direkt nach Mailand verlassen und dann viele passende Bäume gefunden.
Neben dem Niederrhein sind „Baumschwerpunkte“ Ober- und Mittelitalien, ein Urwald bei Kassel und Ibiza gewesen. Aber auch vom spanischen Festland, aus Griechenland und dem Nahen Osten gibt es Vertreter. Insgesamt habe ich im Laufe des Jahres 2008 zirka 2000 Bäume fotografiert.
Wie viele verschiedene Modelle und Paare waren beteiligt und war es schwer, sie zu finden?
Für das Baumprojekt habe ich 49 Menschen beiderlei Geschlechts vor der Kamera gehabt. 37 davon haben den Weg in das Buch gefunden. Die Gesamtzahl der Menschenfotos zum Baumthema liegt bei knapp 20.000; aus ihnen habe ich etwa 400 geeignete Bilder ausgewählt.
Um die 200 Bilder sind im Laufe des Jahres 2008 zum Thema entstanden; die besten fanden Aufnahme in das Buch.
Ganz entgegen meinen Erwartungen war es überhaupt nicht schwer, „Freiwillige“ für dieses Projekt zu finden. Meine Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und fast alle Abgebildeten schrieben mich an, weil sie mit dabei sein wollten – oft Menschen, denen es vorher nicht im Traum eingefallen wäre, sich ohne Kleidung vor der Kamera zu zeigen.
Eine nette Anekdote am Rande: Unter den Bewerbern war auch ein Fotograf, der noch nie zuvor auf die andere Seite der Kamera gewechselt war, aber unbedingt Teil meines Projektes sein wollte. Wir machten gute, passende Bilder, ich habe ihn erfolgreich „verbaumt“, und er war sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Vor wenigen Wochen fragte ich bei ihm an, ob er mit einer Namensnennung im Buch „Philemon und Baucis“ einverstanden sei. Erst danach „gestand“ er seiner Lebenspartnerin den Ausflug in die Modelwelt. Zu seiner Überraschung war sie von den Bildern begeistert, und er bat mich erst jetzt um den Ausdruck eines Bildes für die heimische Wand.
Mich interessiert besonders, ob Sie glauben, dass Ihr Beruf einen unmittelbaren Einfluss auf Gedanken von Schönheit, Hässlichkeit und Verletzlichkeit hat…
Wenn man sich der Medizin widmet, ist der menschliche Körper das Thema. Ab Beginn des Studiums beschäftigt man sich zunächst mit dem Idealzustand des gesunden – und schönen – Körpers, um dann den größten Teil der Ausbildung und der Berufstätigkeit damit zu verbringen, Abweichungen von diesem Idealzustand möglichst treffsicher zu erkennen und erkannte Probleme zu kurieren. Insofern ist das Tun eines Arztes sicher ein Streben nach dem Idealzustand des gesunden und auch schönen Menschen. Dass Gesundheit und Schönheit ein Paar sind – wobei Schönheit sich nicht in Zentimetern (90-60-90) messen lässt und auch nicht einem bestimmten Lebensalter vorbehalten ist. Ich muss zugeben, dass dieses Streben nach Schönheit mir in meiner Kunst immer wichtig war – vielleicht gerade, weil ich in meinem Beruf alle Varianten ihrer Abwesenheit kennenlernte. Verletzlichkeit – das bedeutet potenziellen Verlust der Schönheit durch Zerstörung, und auch dies ist mein täglich‘ Brot in der Arbeit. Vielleicht zeigen meine Bilder auch die Versuche, die Schönheit wiederherzustellen, indem ich idealisiere.
Was macht Ihre Faszination am Bild aus?
Ich liebe das Gestalten, die Komposition mit verschiedenen Zutaten, um einem Bild seine Aussage zu geben. Fast alle meine Bilder entstehen zuerst im Kopf; erst dann versuche ich, das Erdachte sichtbar zu machen. Die Aussage steht dabei stets im Mittelpunkt; ein nur dekoratives Bild ohne gedanklichen Inhalt ist für meine eigene künstlerische Arbeit wertlos. Ich kann mich an abstrakten Bildern anderer Künstler erfreuen; es käme mir aber nie in den Sinn, derartiges selbst zu versuchen. Insofern könnte man meine Bilder als sichtbar gemachte Gedanken beschreiben.
Ihre Bilder wären ohne die moderne Technik nicht möglich. Welche Bedeutung haben die technisch-digitalen Möglichkeiten für Sie?
Ich nutze Technik, ich mag es, optimale Werkzeuge zu nutzen – von der Kamera bis zum Bildbearbeitungsprogramm oder Drucker -, ich bemühe mich, diese Hilfsmittel bis an die Grenzen der technischen Möglichkeiten auszureizen. Aber es bleiben Werkzeuge, die es mir erleichtern, meine Ideen zu verwirklichen; die Ideen ersetzen können sie nicht.
Ein geläufiger Fotografenwitz ist: „Jetzt fehlt nur noch eine Kamera mit Motivautomatik!“
Mir sind Menschen bekannt, die eine abertausende Euro teure Fotoausrüstung besitzen, aber kein einziges Bild hinbekommen, bei dem man verweilen möchte. Umgekehrt kenne ich Leute, die mit einer Billigkamera vom Lebensmitteldiscounter Hingucker en masse produzieren.
Die Entwicklung digitaler Möglichkeiten: Da lasse ich mich überraschen. Als ich um das Jahr 1990 begann, Pixel herum zu schieben, waren die Endprodukte grobe Bildchen im Briefmarkenformat. Die Entwicklung war rasant, und ich denke, die Basistechniken der Bildbearbeitung sind ausgereift. Aber auch heute entdecke ich mit jeder neuen Version meines favorisierten Programms Photoshop auch Erweiterungen und Ergänzungen, die neue Möglichkeiten eröffnen oder einfach das Leben erleichtern.
Die nackten Menschen, wären sie auch so ganz selbstverständlich Teil Ihrer Bilder, wenn Sie kein Arzt wären und nicht diesen ganz selbstverständlichen Umgang mit Nacktheit gewöhnt? Ich denke auch an die erotische Komponente.
Nacktheit war für mich nie tabuisiert. Für mich hat Nacktheit etwas mit Schönheit und auch Reinheit zu tun. Vielleicht hat die Medizin es mir erleichtert, die Nacktheit von der Zwangsläufigkeit sexueller Gedanken zu trennen. Bald nach meinem Staatsexamen habe ich einige Jahre in gynäkologischen Krankenhausabteilungen gearbeitet. Damals wurde ich oft gefragt, ob denn nicht mein eigenes Liebesleben litte, wenn ich tagtäglich mit Offenlegung und Krankheiten der Organe konfrontiert würde, die für den Sexualkontakt bestimmt sind. In dieser Zeit habe ich endgültig gelernt, zwischen Beruf und Privatleben zu trennen – und ich denke, es ist mir bis heute gelungen. In der Fotografie ist das nicht anders als im Arztberuf: Wenn ich im Studio nackte Menschen fotografiere, ist das Arbeit: Die Suche nach dem richtigen Ausschnitt, der richtigen Beleuchtung, der perfekten Pose erfordert hohe Konzentration; für erotische Gedanken bleibt da keine Zeit.
Meine Bilder zielen nicht auf sexuelle Erregung ab. Seit Beginn der Aufnahmen zum Philemon und Baucis- Thema fotografiere ich immer wieder Paare, und es fasziniert mich zu sehen, wie Menschen, die im normalen Leben eine Beziehung miteinander haben, dies auch vor der Kamera zeigen. Zwischen zwei solcher Darsteller knistert es oft, während wir fotografieren. Mehr als einmal hörte ich nach einer solchen Fotoserie die überraschte Feststellung, dass das Paar irgendwann meine Anwesenheit als Fotograf und die Blitze der Beleuchtungsanlage überhaupt nicht mehr wahrgenommen hat. Das ist dann zweifellos Erotik, aber zwischen den beiden Hauptdarstellern vor der Kamera – und es ist unerheblich, ob sie beim Fotografieren bekleidet oder nackt sind. Gelingt es mir als Fotograf, diese Erotik einzufangen, werden die Bilder perfekt. Der spätere Betrachter wird dann die Erotik zwischen den Darstellern spüren; ich glaube allerdings nicht, dass sich diese Erotik auf den Betrachter überträgt.
Wie ist es mit den Reaktionen der Betrachter Ihrer Werke, mit Kritik, mit Lob?
Ich wünsche mir nichts. Das Öffentlichmachen von Bildern ist ein sehr wichtiger Schritt in der künstlerischen Entwicklung. Mich hat es gelehrt, sehr viel selbstkritischer zu werden, viel genauer zu arbeiten. Heute brauche ich für ein Bild weitaus länger als vor Beginn meiner Ausstellungstätigkeit, einfach weil ich einem Betrachter nichts Halbgares anbieten will.
Natürlich freue ich mich, wenn sich Betrachter mit meinen Bildern auseinander setzen.
Ist die Kritik positiv, freue ich mich und fühle mich motiviert, weiter zu machen. Werden Probleme, gar Fehler in meinen Darstellungen angesprochen, wird das Gespräch wichtig: Nur so kann ich meine eigene Betriebsblindheit abmildern und lernen. Ich liebe Diskussionen und suche sie! Das Einzige, womit ich nichts anfangen kann, ist unbegründete Kritik – einerlei ob positiv oder negativ.
Ziele, Ideen, Gedanken in die Zukunft ?
Eins ist sicher: Mir werden die Ideen so schnell nicht ausgehen!
Würden sie benennen wollen, was Ihre Kunst ist?
Das kann ich nicht. Der Picasso zugeschriebene Satz „Kunst entsteht im Auge des Betrachters“ weist die Richtung, wo eine Antwort zu finden sein wird.
Macht diese Arbeit Sie glücklich…
Kurz und knapp: JA!
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